«Es muss ja nicht immer das Teuerste sein!»

von Albert Koller

In den ersten beiden Monaten des Jahres war die Herberge geschlossen, bevor sie Anfang März 2024 die Tore wieder öffnete. In der Agenda sah ich bald, dass dieses Jahr über Ostern nicht viel Betrieb herrschen würde. Ich staunte über die niedrige Anzahl der Anmeldungen, wurde dann aber von einer Begegnung überrascht.

Der Ostermorgen war da, und ich hatte lediglich drei Personen zu betreuen. Da betrat eine ältere Dame mit sichtlicher Gehbehinderung das Refektorium, strahlte aber und grüsste mit einem freundlichen Lächeln. Ich wollte ihr das Frühstück servieren, sie aber wehrte ab und erklärte: «Ich mache das schon selbst.» Es war schwer zuzusehen, wie mühsam sie ihr Frühstück am Buffet zusammenstellte und zum Tisch tragen wollte. Da griff ich ein, half ihr zum Stuhl und bediente sie, soweit sie es zuliess.

Kein feudales Wellness-Hotel

Gleich merkte ich, dass diese Dame sehr offen war und gern reden würde. Sie erzählte mir, dass sie 85-jährig sei und schon bald 10 Jahre in einem Altersheim in Zürich lebe. Ihr Sohn habe sie über Ostern mit seiner Familie und den Schwiegereltern zusammen für eine Woche in ein hochmodernes, feudales Wellness-Hotel einladen wollen. Da habe sie abgewunken. Eine so alte Person für so hohe Kosten in einem Hotel unterzubringen, passe ihr nicht. Das lohne sich doch nicht mehr! Sie wolle dieses teure Geschenk nicht annehmen. Sie begrüsse zwar einen Tapetenwechsel für ein paar Tage, aber dies an einem ganz einfachen Ort, am liebsten in einem Kloster. Da suchte der Sohn weiter und stiess auf das ehemalige Frauenkloster «Maria der Engel» in Appenzell. Reservation, Buchung klappten gleich.

Jedem das Seine

Der Sohn brachte seine Mama vorzeitig ins Kloster und buchte ebenfalls eine Nacht. Schnell merkte er, dass sich seine Mama wohlfühlte und dass es trotz ihrer Gehbehinderung möglich sein wird, die Tage im Kloster zu verbringen. Er und seine Familie fanden mit den Schwiegereltern zusammen ein feines Wellness Hotel in der Nähe. So erlebte die ganze Familie Ostern nach ihren eigenen Bedürfnissen.

Weniger ist mehr

«Mein ‹Sechs-Stern-Hotel› habe ich hier. Ich bewohne ein schönes, sauberes Zimmer, kann die Karwoche und die Oster-Liturgie in der Pfarrkirche Appenzell mit meinem Rollator selbständig mitmachen und geniesse hier die Ruhe, die Stille und die Herzlichkeit der Freiwilligen und der anderen Gäste. Wissen Sie, manchmal ist weniger einfach mehr!» Unter anderem erklärte sie mir: «Im Alter wird man mutlos. Ganz viele ältere Leute haben Angst. Man wird einsam. Diese Herberge ist eine Seelenklinik. Diese müsst ihr unbedingt weiter betreiben. Gebt den alten Leuten, Sicherheit und Geborgenheit! So fühlen sie sich wohl.»

Diese Begegnung beeindruckte mich sehr und stimmte mich nachdenklich. Es war für mich wie eine Sonntagspredigt.

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